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Entdeckung einer alternativen Forschungsweise in der Fotografie

Normalerweise ist Forschung in der Kunst- und Medienwissenschaft,
gerade was die künstlerischen Medien, ihre Kreation und ihre Wirkung
betrifft, in ihrer Art und Weise stark subjektiv.

Oft habe ich das Gefühl, neue Ausdrucksweisen sind in diesen
Forschungsbereichen von gleichviel Wert wie neue Erkenntnisse.  Auch
aus der Schulphilosophie kennen wir noch seitenlanges Geschwurbel
(ich habe übrigens Philosophie als Fach immer geliebt) – strikte Semantik
ist hier, und in ähnlichen Feldern, wie Ethnografie,
Bildwissenschaften, Narratologie etc, meiner Meinung nach
gleichbedeutend mit der kompakten Eleganz mathematischer Formeln. Es ist ein
anderer Weg der Beweisführung.

Der einzige Unterschied: Mathematische Formeln haben festgelegte
Reihenfolgen und eine stärker begrenzte Menge von Zeichen, die strikt
definiert sind. Worte hingegen, oder gar ganze Sätze, sind oft nur lose
definiert. Man muss also, um mit ihnen zu arbeiten, mit Worten das
definieren, was man mit Worten beschreibt. Erkennt ihr das Problem?

Konferenzpaper von der PICS Conference

Vor einer Woche stieß ich bei der Recherche für das Exposé meiner
Doktorarbeit auf die Beschreibung einer Konferenz mit allen dabei
besprochenen Themen.
Eine kurze Suche im Internet später landete ich auf der offiziellen Seite
der PICS-Konferenz, und – siehe da – alle Konferenzen mit allen Papern von
1998 bis 2003 waren frei verfügbar! Die Seite leitete mich zusätzlich
zu wertvollen Quellen in Form von wissenschaftlichen Zeitschriften.
Alle diese Artikel und Paper hatten eines gemein: Sie diskutierten
Fotografie von einer technischen Seite – das war etwas, was ich bisher
vermisst hatte.

Warum?

Ganz einfach: Naturwissenschaften haben durch ihre restriktive Auswahl
an verfügbaren Zeichen oft eine Bündigkeit und Eleganz, die entsteht,
wenn auf einer Basis von bewiesenen Gesetzen logische
Schlussfolgerungen hergestellt werden.
In einem Artikel zum Beispiel unternahmen die Autoren den Versuch,
herauszufinden, wie wir Menschen in komplexen visuellen Szenerien
unterschiedliche Materialien voneinander unterscheiden können. Sie
stellten eine gut definierte Hypothese auf und kamen auf vier Seiten
zu einem abschließenden Ergebnis.

Undefinierte Definition

Essays, aber auch wissenschaftliche Arbeiten in den sozialen und
ästhetischen Wissenschaften sowie der Philosophie haben in meiner
Erfahrung häufig ein Problem.


Die Autoren stellen wunderbare logische Beweisketten her – aber nicht
immer auf der Grundlage von erprobten Gesetzen, sondern oft auf
Grundlage ihrer eigenen Weltanschauung.
So muss man sich, ob beim Lesen, oder auch beim Zitieren von Autoren,
immer ihrer Denkweise bewusst sein, um nicht aus Versehen seine eigene
logische Kette auf einem brüchigen Fundament aufzubauen.
Man muss ständig überprüfen, was als Fakt gelten kann, und was eine
aufgestellte, aber nie bewiesene These bleibt.

Um sich Sicherheit zu verschaffen, sollte man daher in wissenschaftlichen
Arbeiten, gerade in den Bereichen, die ich oben angesprochen habe,
sehr viele unterschiedliche Quellen verwenden.
Zum einen gibt das die Sicherheit, dass das Material möglichst
fehlerfrei ist, oder zumindest von vielen Menschen gleich bewertet
wird. Zum anderen, weil Sprache allein kein ideales Medium zur
Kommunikation von abstrakten Konzepten ist. Oft kann man nicht umhin,
mehrdeutige Wörter zu verwenden.
Wer die Gefahr der Missdeutung nicht kennt oder nicht beachtet,
drückt sich schwammig aus und verlässt sich darauf, dass der Leser
aus dem Kontext die richtige Bedeutung "errät".

In der Forschungsliteratur, die ich momentan viel lese, ist es nicht
nur wichtig, zu definieren, sondern oft geben die Autoren auch
ausführliche Beispiele. Das ist gut so. Nur so ist es möglich, Texte
beim ersten Lesen grundsätzlich zu verstehen, ohne ein Wörterbuch
aufschlagen zu müssen. Zusätzlich kann man sich so ein Bild von der
Richtigkeit der dargestellten Annahmen machen.
Viele dieser Texte bauen darauf, dass ich, der Leser, die
Definitionen und persönlichen Beobachtungen der Autoren auf einer
abstrakten Ebene verstehe.

Sie belegen das, was sie sagen, durch möglichst spezifische
Definitionen, Beispiele und Gedankenexperimente, während die von mir
entdeckten Paper Experimente, Statistiken, mathematische Formeln und
Gleichungen nutzen, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen und diese
mitzuteilen.

Schlusswort

Die von mir gefundene Forschung setzt sich mit technischen Phänomenen
der Fotografie, aber auch mit der Wirkung von Bildern auf den
Betrachter auseinander und nutzt komplett andere wissenschaftliche
Methoden, als mir in meinem Feld bekannt sind. Sie bildet eine
theoretische Basis, auf der andere Texte und Essays aufbauen können,
und für mich eine willkommene Abwechslung.

Beide angesprochenen Formen der Forschung haben ihre eigene
Berechtigung. Wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt, kann man viele
Parallelen erkennen.

 

Für mich stellt sich immer wieder die Frage: Wie können wir noch mehr
in Richtung einer strikter definierten Forschungssprache gehen?


Ich hoffe, ihr schaut euch einige der Artikel an und macht euch selbst
ein Bild davon!

Bleibt gesund und munter.

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Kommentare: 2
  • #1

    Franzi (Freitag, 08 Mai 2020 18:29)

    Ich liebe es, deine Artikel zu lesen, Tom! Gibt mir immer wieder was zu denken und meine Sichtweise zu hinterfragen oder zu erweitern. Sehr schön erklärt :)

  • #2

    Tom Kaiser (Samstag, 09 Mai 2020 20:23)

    Hallo Franzi,
    was für ein lieber Kommentar!

    Mir gehen gerade unglaublich viele Dinge durch den Kopf. Wenn ich es auch nur schaffe, einen kleinen Bruchteil davon zufriedenstellend zu erklären und Menschen wie dich dadurch zu inspirieren, dann macht mich das echt glücklich!