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GAS – Gedanken zum Kamerakauf

GAS, kurz für “Gear Acquisition Syndrome”, bezeichnet im Fotografenlingo die fast schon krankhafte, chronische Neubeschaffung von Ausrüstungsgegenständen.
Jeder neue Releasezyklus des Herstellers (oder auch der Hersteller, je nach Geldbeutel und Schweregrad der “Krankheit”) bringt das Verlangen mit sich, das jeweils neueste Modell zu besitzen; auf die Verbesserungen, die es mit sich bringt, kommt es häufig gar nicht mehr an – GAS ist mehr Sammelwahn als wirkliches Benötigen eines Features.

Ich persönlich bin jemand, der sich beim Kauf neuer Kameras eher zurückhält; ein gutes Beispiel hierfür ist meine Canon 1100D, die ich als Jugendlicher von meinem Großvater geerbt habe und die jetzt noch meine Hauptkamera ist.
Wer einige Jahre lang mit einer Kamera gearbeitet hat, kennt natürlich Stärken und Schwächen, und über eine solche Zeit häuft sich naturgemäß (vor allem bei einer Amateurkamera wie der 1100D) eine recht stattliche Liste an Limitationen an, auf die man gestoßen ist.

Einige Beispiele, die mir zur 1100D einfallen:

  • Die Sucherfeldabdeckung beträgt nur 95%, man sieht also nicht das vollständige Endergebnis im Sucher
  • manuelles Fokussieren ist mit dem Sucher nicht gerade schnell bzw. präzise, da er ziemlich klein ist
  • bei ISO-Empfindlichkeiten jenseits von 800 sind die Bilder für meine Qualitätsansprüche nicht mehr ausreichend
  • das Kameragehäuse ist aus Plastik und widersteht damit nur leichtesten Umwelteinflüssen
  • RAW-Reihenaufnahmen kommen auf ca. ein Bild pro Sekunde, weshalb es sich nicht lohnt, sie überhaupt zu benutzen sandisk
  • Microadjustments sind nicht möglich

Ich kenne die Bedienelemente und Menüs so gut wie blind und kann genau nachvollziehen, wie die Kamera in bestimmten Situationen reagiert; dennoch habe ich noch immer das Gefühl, dass, wenn ich disziplinierter und bewusster arbeite, sogar diese Amateur-DSLR noch bisher unausgereiztes Potenzial offenbaren wird.
Gleichzeitig bedeutet diese Vertrautheit mit der Ausrüstung aber auch einen Wert, den es bei einem Neukauf nicht zu unterschätzen gilt: Natürlich ist es gut und richtig, sich die bestmögliche Kamera für das zu leisten, was man gerade vorhat – es gibt auch deshalb einen so breiten Markt, weil viele Kameras einfach Spezialisten sind.
Wer gerne Aufnahmen in dunklen Räumen, also z.B. in Lokalen, Bars, oder auf Partys, macht, wird sich vielleicht eine Vollformatkamera mit einem rauscharmen Sensor wünschen; Sportfotografen würden wohl eine Kamera haben wollen, die möglichst viele Bilder pro Sekunde aufnehmen kann, usw.
Dies sind natürlich stark vereinfachte Beispiele, aber man erkennt daran, worauf ich hinauswill, denke ich.
An all diese Spezialisten muss man sich jedoch nach einem Kauf erst einmal gewöhnen – für einen Fotografen, der professionell arbeitet und höchste Qualität abliefern will, mag es sich lohnen, die Zeit zu investieren, die zum Kennenlernen der neuen Kamera notwendig sind.
Wenn man aber nicht ganz genau weiß, dass man mit diesem neuen Ausrüstungsstück längere Zeit arbeiten werden muss und dass es auf jeden Pixel ankommt, dann lohnt sich meiner Meinung eher der Kompromiss mit der alten Kamera als die Anschaffung einer neuen.

Wenn man diese Gedankengänge berücksichtigt, schränkt man seine Möglichkeiten natürlich in einem gewissen Maß ein (ich zum Beispiel kann mit der 1100D nachts entweder nur stille Szenen fotografieren oder bewegte Objekte verwischt zeigen).

Ich habe andererseits schon oft den Fall erlebt, dass meine Kreativität gerade in eingeschränkten Situationen ganz neue Höhen erreicht hat – der Druck bewirkt, dass man völlig anders denkt und neue Lösungen finden muss.
Schließlich habe ich auch deshalb noch keine neue Kamera, da ich beim Nachdenken über diesen Sachverhalt realisiert habe:

Ich habe alles, was ich brauche; ich kann ohne Einschränkungen das fotografieren, was ich gerade fotografieren möchte!

Anmerkung: Zu diesem Zeitpunkt bin ich noch nicht professionell in der Fotografie tätig, sondern nur Fotografiestudent; wie bereits beschrieben, hängt die Wahl einer Kamera immer auch vom Level, auf dem man arbeitet, von den Qualitätsstandards, die man sich setzt und der Zeit, die man zur Verfügung hat, ab.

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